#foodfail

(von Jörg Olvermann)

Mit einem lauten Seufzen baute sich Sebastian vor Lisas Schreibtisch auf und hielt ihr einen Ausdruck unter die Nase:
„Lisa, lies mir doch mal dein Rezept-Posting für die Urban Food Week vor.“
Lisa sah, dass Sebastian an mehreren Stellen des Artikels rote Ausrufezeichen gesetzt hatte. Zitternd nahm sie das Blatt Papier in die Hand:
„Hummus hört sich an wie das arabische Wort für Kompost und sieht auch ein bisschen so aus. Ist aber traditionelles Middle East Food vom Feinsten und wird aus pürierten Kichererbsen gemacht. Um das eher unmodische Beige der Paste aufzuhübschen, werden gern Petersilie und Zitronenscheiben als Dekoration geaddet. Vor allem Vegetarier und Veganer stürzen sich auf das hippe Fashion Food und nicht zuletzt deshalb spielt das Gericht bei der diesjährigen Urban Food Week auf dem Berliner Messegelände eine Hauptrolle. Hier unsere Rezeptklassiker zum Selbermachen … “
Sebastian klopfte mit den Fingerspitzen nervös auf die Tischplatte.
„Fällt dir was auf?“, fragte er, „Nicht nur, dass der Content-Baustein stilistisch echt lame rüberkommt. Auch die Keyword-Dichte ist mies. Der Suchbegriff Hummus hätte mindestens vier Mal vorkommen müssen, sonst geht das Rezept in der generischen Google-Suche unter wie die Titanic im Atlantik. Und bei deinen Zutaten in den Rezepten ist Jogurt dabei. Das bringt die Veganer doch total auf die Palme!“
Sebastian machte eine Pause und senkte seine Stimme: „Lisa, so einen Patzer können wir uns nicht leisten. Sag mal, hatten wir eigentlich eine Probezeit vereinbart?“

„Booze and Buzz“ hieß die Social Media „Agentur“, bei der Lisa seit ein paar Wochen ein Praktikum machte. Die Agentur bestand nur aus Sebastian. Im Auftrag von Unternehmen erstellte Booze and Buzz kleine Artikel und Postings, die über Twitter, Facebook, Instagram, Pinterest und andere Plattformen verbreitet wurden. Sebastian war mal Texter bei Jung von Matt und über seine Agenturkontakte holte er mehr oder weniger kleine Aufträge an Land. Mal ein Blog-Beitrag für ein Software-Startup, mal eine Instagram- Kampagne für ein Kosmetik-Label. Und jetzt eben die Social-Media-Betreuung der Urban Food Week.

„Jeder Kanal im Content-Marketing kennt eigene Regeln“, dozierte Sebastian beim Vorstellungsgespräch. „Twitter lebt von den richtigen Hashtags, bei Pinterest brauchst du Artsy fartsy Fotos und bei Instagram kann’s auch mal ein bisschen trashiger zugehen. So mit Stickern, Emoticons oder ner nicen Story. Wichtig ist, dass alles ein bisschen handgemacht, aber trotzdem total real rüberkommt. Den Rest erledigen unsere Influencer. Glaubst du, du kriegst das hin? Immerhin kann ich dir 400 Euro im Monat zahlen!“
Damals hatte Lisa genickt und sich auf das Praktikum eingelassen. Nach dem verpatzten Master in Mediendesign konnte sie von dem Geld wenigstens eine Weile das teure WG-Zimmer halten und sich nebenbei auf die Bewerbung in Leipzig konzentrieren.

Nach Sebastians Standpauke drehte sich Lisa erst mal ne Kippe und stellte sich auf den Bürgersteig vor das kleine Neuköllner Ladenbüro, in dem Booze and Buzz residierte. Es war kurz nach 19 Uhr und einen frühen Feierabend konnte sie wohl mal wieder vergessen. Dabei wollte sie sich dringend um ihre Mappe für die Kunsthochschule Leipzig kümmern. Der Abgabeschluss war übermorgen und außer ein paar Skizzen und Collagen aus ihrer Abi-Zeit hatte sie noch nicht viel zusammen.
Lisa rauchte schnell und inhalierte tief. Nach drei Minuten klopfte Sebastian von innen an die Scheibe und winkte sie hektisch herein.
Er telefonierte.
„Food Story. Fancy Delicatessen. Street Style. Bis 21 Uhr. Kein Problem. Das kriegen wir hin.“ Sebastian legte auf und wandte sich an seine Praktikantin.
„Hey Lisa, wie war die Pause? Du, stell dir vor, die Dudes von der Food Week brauchen heute Abend noch Reichweite auf Insta. Schnapp dir unser iPhone und check mal die Sonnenallee für ne schöne Food Story. Irgendwas Stylisches mit Middle East Delikatessen. So tasty pics aus der syrischen Bäckerei oder handgemachter Käse aus Albanien oder what the fuck. Gerne irgendwas mit Refugees, Halal is the the new Black, Bio irgendwas. Hauptsache kein Proll-Food. Und geil muss es aussehen. Und einen nicen Text dazu. Wie wichtig der ganze Food-Credibility-Mist ist und so.“
Sebastian stellte im Instagram-Profil des Smartphones die Zugangsdaten der Urban Food Week ein und drückte es Lisa in die Hand.
„Poste doch am besten gleich selbst. Ich vertrau dir. Hey, und denk an den Hummus-Patzer heute. Wenn das jetzt auch noch schief geht, dann kann ich mir dich nicht mehr leisten!“

Genervt packte Lisa das Telefon in ihren kleinen Rucksack und schwang sich auf ihr altes Damenrad.
In der Sonnenallee machte sie sich auf die Suche nach Input für ihr fancy Food Posting.
Im „Käse-Atelier Meier und Freunde“ verriet man ihr aber, dass man grundsätzlich kein Interesse an einer kapitalistisch-medialen Verwertung der handgefertigten Käseskulpturen aus der Uckermark hatte, die Jungs vor der syrischen Bäckerei vertrieben sie mit Gelächter und Pfiffen vom Schaufenster und die Schmuckdesignerin des „Kichererbsenkolletivs“, das Hals- und Armketten aus Hülsenfrüchten herstellte, wies darauf hin, dass man bis zum Launch der Kollektion auf dem Kunstfestival 48-Stunden-Neukölln keine Publicity wünsche.
Lisa wurde nervös. Ihr Telefon vibrierte. Es war natürlich Sebastian.
„Hey Lisa, wie lange brauchst du noch? Die Checker von der Urban Food Week werden ungeduldig. Wenn wir bis 21 Uhr nichts online stellen, sinkt die Conversion-Rate und wenn das heute schiefgeht, dann…“
„…dann kannst du dir mich nicht mehr leisten. Ich weiß!“ Lisa streckte einen Mittelfinger in Richtung Display.
„Hey hey, nun mal nicht aggro werden, junge Frau. Du willst doch auch, dass das Posting abgeht, oder? Geh doch einfach in einen Bio-Laden, kauf ein paar dirty Karotten, Chia Samen und Roggenbrot, pack das Ganze auf ne Parkbank und mach ein paar nice Shots. Urban, Veggie, cool!“
Lisa legte auch und schaute auf die Uhr.
Es war 20:43.
In der Bio-Company suchte sie verschrumpelte Rote Beete, Räuchertofu und ein paar Bio-Zitronen zusammen und legte die Waren aufs Kassenband. Als sie ihre EC-Karte zückte, schüttelte der Kassierer den Kopf und deutete auf einen kaum lesbaren Zettel: Cash only.
Lisa kramte in ihrem Rucksack nach Geld. Sie hatte noch 1,60 Euro Bargeld. Das reichte noch nicht mal für die Rote Beete.
Der nächste Geldautomat war zum Glück nicht weit. Auf dem Display stand:
Auszahlung nicht möglich. Bitte kontaktieren sie ihre Bank.
Lisa Lippen begannen zu beben.
Sie rief Sebastian an:
„Hey, ich hab keine Kohle auf dem Konto und kann jetzt kein fancy Bio Food für das Posting kaufen. Sag mal, hast du mir überhaupt schon die 400 Euro überwiesen?“
„Wow, Dicker, das kommt jetzt aber vorwurfsvoll rüber, Lisa. Ich muss schon sagen, bei deiner Performance jetzt mit solchen Forderungen zu kommen. Also, ich kann doch nicht wissen, dass es bei dir finanziell so düster… Hast du eigentlich schon mal auf die Uhr geschaut? Es ist jetzt fünf vor neun und wir brauchen jetzt wirklich dieses verdammte Food Posting!“
Sebastian legte auf. Lisa zog ihre EC-Karte aus dem Automaten.
„Wer ist das Arschloch, das dich so fertig macht?“, fragte plötzlich eine fremde Stimme von unten. Es war eine obdachlose Frau, die neben dem Geldautomaten auf einer grauen Wolldecke saß.
„Mein Boss“, sagte Lisa und wischte sich die Augen. Ihre Finger waren feucht von Tränen und schwarz vor Wimperntusche.
„Ach, bloß der Boss!“ Die Frau lächelte weise. “Weißt du, der Kapitalismus lebt auch davon, dass sich die Arbeiterklasse ohne Widerstand unterdrücken lässt. Ich sage nur: Eat The Rich!“ Lisa sah, dass vor der Obdachlosen ein paar Lebensmittel standen. 3 Becher Schoko-Pudding, eine aufgerissene Packung Mett und Billig-Salami.
Es war 20:58 Uhr.
„Darf ich mir dein Essen kurz ausleihen?“, fragte sie die obdachlose Frau und stellte die Lebensmittel vor den Geldautomaten. Lisa knipste ein paar Bilder, hantiere ein wenig mit dem iPhone herum und sagte: „Feierabend!“
Dann gab sie der Frau die Lebensmittel zurück, kaufte von ihren letzten 1,60 Euro zwei Sterni und reichte eins der obdachlosen Frau. Die lud Lisa ein, sich zu ihr zu setzen.
Lisa prostete der Frau zu und nahm einen tiefen Schluck.
„Was hast du da gerade gemacht auf dem Telefon?“, wollte die Frau wissen.
„Ach, nichts weiter. Nur grad mein Praktikum geschmissen.
“Lisa nahm das Telefon und las ihr Posting vor, das soeben mit den 1.800 Followern auf Instagram, 2.300 Freunden auf Facebook und per Twitter mit 85 Multiplikatoren und 23 Presseagenturen geteilt wurde.

„Eat The Rich! Mit diesen Food Fails vertreibst du Urban-Food-Week-Bonzen, Life-Style- Nazis und Agentur-Arschlöcher aus deinem Leben:
Fake Pudding – Überrasche deine Fuzzy-Freunde mit einem Wunderwerk der Verdickungsmittelindustrie. Der gefärbte Schokoschleim kommt zwar eher geschmacklos daher, aber das Krönchen aus FCKW-aufgeschäumter Sahne aus garantiert nicht nachhaltigem Kuh-Knast schmeckt nach Karius und Baktus. Besonderes Feature: Die Zutatenliste, die länger ist als die Schlange vorm Berghain!
Plastik-Salami – Wenn dir selbst Fleisch noch zu würdevoll ist, greif zu diesem Block an Talg und Spices. Garantiert tasteless, dafür aber sehr fetthaltig. Salami ist schlechtes Gewissen als Aufschnitt. Mein Tipp: Als Gastgeschenk den Food-Bonzen in die rote Kokos-Linsensuppe schnippeln. Minimiert die Zahl deiner Insta-Follower garantiert!
Meet the Mett – Hat die Konsistenz von gestocktem Sperma und schmeckt auch so. Salzig und billig. Liegt stundenlang im Magen und zieht Fettfäden in der Kauleiste. Du wolltest schon immer aus dem Mund riechen wie ein totes Schwein? Kommt vor allem beim ersten Tinder-Date mit einer veganen Beauty Queen total cremig.
#foodfailforever #sattstattschön #ihrkotztmichan #byebye #boozeandbuzz #socialmedia-kz

Natürlich kostete Lisa dieses Posting ihr Praktikum. Aber als Teil ihrer Bewerbungsmappe für Leipzig war es Gold wert. Nur wenige Wochen später erhielt sie ein Schreiben der Kunsthochschule mit der Zusage für den Studienplatz und dieser handschriftlichen Notiz:
„Eat The Rich!“ ist eine sehr mutige Arbeit. Ein Statement gegen die schleichende Verarmung der Mittelschicht, eine provokante Demaskierung der zunehmenden Inszenierung von Lebensmitteln im Kontext sozialer Medien. Kapitalismuskritik an der Wurzel. BRAVO und willkommen in Leipzig!

Jörg Olvermann
Jörg Olvermann, Jahrgang 1971, zog mit 21 Jahren nach Berlin, studierte an der UdK und arbeitet als Berater, Konzepter für Digitale Medien.