(von Judith H. Strohm)
Er hielt seine Zigarette wie damals und noch immer kannte ich niemanden sonst, der Dunhill rauchte. Für ihn kam nichts anderes in Frage. Wenn es sein musste, fuhr er für ein Päckchen auch quer durch die Stadt, wobei Dakar fast so groß ist wie Berlin. Ich mochte die Brise, die hier immer vom Atlantik her wehte und die schreienden Möwen am wolkenlosen Abendhimmel.
Von der Straße schallte das Hupen der senfgelben Taxis herüber. Drinnen im alten Bahnhof wiederholte ein Techniker die Zahlenfolge des Soundchecks: Un, deux, trois – un, deux, trois – un, deux…
Ich hatte lange nicht an ihn gedacht, eigentlich jahrelang nicht, aber jetzt, wo ich hier neben ihm stand und sah, wie der Wind seine Rauchkringel über die Gleise wehte, fiel mir wieder ein, wie seine Küsse schmeckten, geschmeckt hatten. Damals war ich abgereist mit der Hoffnung, ihn auch einmal in Berlin zu küssen. Aber er hatte nicht kommen können. Was hatte ich mir auch vorgestellt? Mit der Frau und den kleinen Kindern, mit der irrsinnigen Bürokratie und dem wenigen Geld.
Fast hundert Jahre war der Bahnhof nun alt, seit Jahren nicht mehr in Betrieb. Kolonialstil. Europäer fanden so etwas immer schön. Das wussten auch die Senegalesen. Für die Kunstbiennale war der Bahnhof ein wenig hergerichtet worden. Irgendwann sollte hier ein Museum für zeitgenössische Kunst einziehen, aber noch fiel der Putz an den richtigen Stellen vom dekorativen Mauerwerk. Den Rest erledigten bunte Strahler. Auch in Berlin, London oder Paris wäre dieser Bahnhof eine angesagte Location.
Die Studentinnen der Kunst- und Afrikawissenschaften, die aus Frankreich, Italien und Deutschland zum Event angereist waren, wirkten beinahe ungepflegt gegenüber den Afrikanerinnen mit ihren aufwändigen Roben, dem Goldschmuck und den turmhohen Absätzen.
Er deutete über die Absperrung hinweg zu den Lumpengestalten, die sich entlang der rostigen Gleise in Hütten aus Holz und Plastiktüten eingerichtet hatten. „Weißt du, vor drei Monaten wurde der Bahnhof geräumt. Es gab viel Kritik. Ich meine, die sind jetzt obdachlos“, sagte er.
Ich nickte stumm und dachte, dass es manchmal nicht einfach war, die Dinge auszuhalten, so wie sie nun einmal waren.